32. Spitznamen
Im Dorf haben viele Leute einen Spitznamen, unter denen sie bekannt sind. Oft genug wird darüber sogar der richtige Namen vergessen. Meine Mutter dachte zum Beispiel, als sie nach Odendorf zog, lange Zeit Hans Lutterbeck würde Hans Butifar heißen, weil in Gesprächen immer nur von Butifar die Rede war. Prompt redete sie ihn dann auch so an.
Annelie unsere Intellektuellen-Kellnerin machte auch so eine Erfahrung als sie anfing in der Kneipe zu arbeiten. Es war ziemlich voll und sie war schon ein paar Mal zu einem Tisch geschickt worden mit den Worten : „Luhr ens do beim Hase-Maria.“ Logischerweise bestellte sie dann auch mal: „Einen Kaffe für die Frau Hase!“ , und wunderte sich weil wir alle loslachten. Sie musste sich dann erklären lassen, dass Maria mit Nachnamen Schneider heißt und den Spitznamen von ihrem Vater geerbt hat, der wurde nämlich Hase-Winand genannt.
Für „Zugereiste“ ist es wirklich nicht leicht klar zu kommen. Aber inzwischen haben die, die im Dorf integriert sind schon selbst einen Spitznamen. So heißt Herr Boll überall nur „Käpt’n Iglu“, weil er genau so aussieht wie der Kapitän in der Werbesendung.
Markus Lasch hat den Namen „Bärbsche“ bekommen, weil er im Sommer immer am Kneipenfenster saß und beobachtete was auf der Strasse so abging, genau so wie früher unsere Nachbarin „Jiesjens Bärbsche“. Man konnte sicher sein, dass sie entweder am Fenster oder hinter der Gardine saß, bis der Letzte die Kneipe verlassen hatte. Hansens Martin ging zum Beispiel nicht nach Hause, ohne im Vorbeigehen zu grüßen: „Naach Bärbsche, isch benn de Letzte.Du kanns jetz schloof john.“
Clemens Kalenborn war im Dorf bekannt als „Höhnsche“ (Hühnchen). Zu diesem Namen kam er folgendermaßen. In Odendorf existierte zur damaligen Zeit ein Theaterverein. Clemens Kalenborn war ein Naturtalent, und der Star der Truppe. Er spielte meist die Hauptrolle, den jugendlichen Liebhaber. In einem Stück musste er einen Polizisten namens „Hühnchen“ darstellen. Dies spielte er mit einer solchen Intensität, dass alle begeistert waren. Natürlich war der Name so herrlich dämlich, dass er dem armen Herrn Kalenborn sein Leben lang nachhing. Sobald er die Kneipe betrat, fand sich mindestens eine Person, die das Lied anstimmte: „Hühnchen, Hühnchen, Hühnchen sei vergnügt!“. Der Rest der Gesellschaft stimmte natürlich lautstark ein. Der Clemens hat es zum Glück mit Humor genommen und immer kräftig mitgesungen.
Dann gibt es noch den „Sööß“. Mit diesem Spitznamen wurde unser langjähriger Bürgermeister und amtierender Ortsvorsteher Heinrich Vornhagen bedacht, anspielend auf die Art und Weise wie er auf alle Leute einging, besonders in den „Vor-Wahl-Zeiten“. Um ihn zu ärgern hatte Onkel Färn sich etwas Besonderes ausgedacht. Er brachte dem kleinen Hermann Vornhagen bei: „Du muss deheem saare: Mama, isch well sööß, sööß Appelkompöttsche. Ävver saach och zweimol sööß, söns ess dat ze suur.“
Ein weiteres Odendorfer Original war der „Nappi“ (Stefan Freischem). Seinen Spitznamen hat er sich Karneval verdient. Von Statur aus klein und gedrungen, imitierte er beim Ausmarsch des Elferrates, dem er angehörte, Kaiser Napoleon. Er setze sich die Karnevalsmütze als Dreispitz auf, steckte die Hand vorne in seine Uniformjacke und wurde so zum „Nappi“.
Mancher Spitzname verrät auch viel vom Charakter seines Trägers. So war zum Beispiel Heinz Haybach in der Kneipe nur als „Dornröschen“ bekannt. Er schlief lange und gerne, und hielt sich Anstrengungen möglichst weit vom Leib. Er war nicht aus der Ruhe zu bringen, genau wie seine Frau. Die schlief übrigens jeden Samstag neben ihrem skatspielenden Mann in der Kneipe ein. Es dauerte keine Stunde bis ihr die Augen zufielen. Maria, die damals kellnerte öffnete dann nur kurz die Küchentür und rief: „ Isch wollt nur saage, ett Else schlöf“.
Viele Spitznamen sind leicht zu erklären, weil sie durch die Herkunft, wie beim „Icke“ (Fritz Hönow) oder durch den Namen wie beim „Eiwi“ (Willi Eichen) entstanden sind. Andere wiederum sind beim besten Willen nicht mehr nachvollziehbar. Warum Matthias Bollig zum Beispiel „Pohle Mätthes“ genannt wird oder Klaus Hültz „Mano“, habe ich bis heute nicht in Erfahrung bringen können.